Handelsblatt Wehe, es wird ernst - Bei der Versicherungsaufsicht Bafin häufen sich die Beschwerden über die Rechtsschutz Union
Handelsblatt: Wehe, es wird ernst – Bei der Versicherungsaufsicht Bafin häufen sich die Beschwerden über die Rechtsschutz Union
Eine Woche lang saß Anlegeranwältin Nicole Mutschke im ersten Stock ihrer Bielefelder Kanzlei an einem Schriftsatz, den ihr niemand bezahlte. Neben sich drei dicke Aktenordner, alle betrafen einen einzigen Fall. Am Ende war das Schreiben 95 Seiten lang. Mutschke schickte es mitsamt den Ordnern in einem großen Paket an die Versicherungsaufsicht Bafin. Es sollte ein Jahr dauern, bis sie von dort eine Antwort bekam.
Dabei war die Post dringend. Mutschkes Mandant hatte eine Rechtsschutzversicherung bei der Münchner Rechtsschutz Union abgeschlossen. Die Tarife und Leistungen der Versicherung gelten in Vergleichstests als attraktiv. Jahrelang zahlte Mutschkes Mandant seine Beiträge und glaubte sich gut versichert. Bis er für sein Geld eine Gegenleistung haben wollte. Er fühlte sich von mehreren Banken falsch beraten und wollte klagen.
Von da an zeigte seine Versicherung eine ganz neue Seite. Sie schien alle Register zu ziehen, um die Bezahlung von Anwälten und Prozessen zu verzögern oder gar zu verhindern. Die Rechtsschutz Union verlangte Unterlagen über Unterlagen. Beantwortete Post spät oder gar nicht, Briefe sollen nicht angekommen sein, einige Leistungen lehnte sie ganz ab.
Das Problem dürfte der Aufsicht in Bonn längst bekannt sein. Mutschkes Beschwerdebrief war einer von Dutzenden, die dort alljährlich eingehen. 59 waren es 2013. Im Verhältnis zur Zahl der Versicherten fünfmal mehr als bei der Allianz. Auch andere Kanzleien berichten: In teuren Verfahren wie dem Anlegerschutz oder Streit über ärztliche Kunstfehler setze die Rechtsschutz Union so hohe Hürden bis zur Deckungszusage, dass viele Kunden lieber auf eine Klage verzichteten oder den Anwalt aus eigener Tasche bezahlten. In der Beschwerdestatistik der Bafin zu Rechtsschutzversicherungen liegt der kleine Münchner Versicherer seit Jahren mit an der Spitze.
Helmut Schönborn*) ist selbstständig. Auf Anraten mehrerer Banken hatte er große Teile seiner Altersvorsorge in geschlossene Fonds investiert, ohne zu ahnen, welche Risiken dort schlummern. Seine Investments gleichen einer Horrorliste: gleich vier Medien-und Filmfonds, leer stehende Immobilien in den USA, vom Scheitern bedrohte Flugzeugleasing-Fonds, problembehaftete Windparks, Zweitmarkt-Lebensversicherungsfonds. Bei allen bestand Verdacht auf Falschberatung. Zum Glück hatte er ja eine Rechtsschutzversicherung, dachte er. Sein Vertrag sicherte auch Rechtsstreitigkeiten um riskante Kapitalanlagen ab.
Auf dem Papier jedenfalls. Für den ersten Fonds, einen Medienfonds, beantragt Schönborn Deckung im Frühjahr 2010. Es dauert mehr als sechs Wochen, bis eine Deckungszusage kommt. Bei elf weiteren Fonds lässt sich die Rechtsschutz Union gar viele Monate Zeit. Sie verlangt mehrmals Unterlagen erneut, Erinnerungsschreiben laufen ins Leere. Die Versicherung behauptet, Post sei gar nicht eingegangen, und verlangt dann wieder neues Material. So schildert es seine Anwältin Mutschke. „Ich dokumentiere bei dieser Versicherung alles. Wenn Post per Einschreiben ausgeht, lasse ich sogar das Gewicht bestätigen“, sagt sie. Die junge Juristin mit dem blonden Lockenkopf habe schon erlebt, dass die Versicherung nur ein Anschreiben erhalten haben will, nicht aber die Anlagen.
Die Rechtsschutz Union ist eine Tochter der Alten Leipziger. Dort räumt der zuständige Vorstand Kai Waldmann ein: „Wir stellen derzeit unser gesamtes System um, da kann es zu Bearbeitungsrückständen kommen.“
Solche Bearbeitungsrückstände gab es wohl auch schon 2010. Bei Schönborn sah das Hin und Her mit dem Versicherer so aus: Nach einer ersten Deckungsanfrage zu mehreren Fonds im Mai verlangte die Rechtsschutz Union weitere Unterlagen – danach Schweigen, trotz mehrerer Erinnerungsschreiben. Im Juli dann wollte die Versicherung laut Mutschke weitere Informationen haben: die Korrespondenz mit der Bank, eine genaue Schilderung der Beratungssituation. Eine Stellungnahme zu den Beweismitteln und zur Verjährung. Alles schickt die Anwältin Mitte August. Sie reichte damit innerhalb von drei Monaten zum zweiten Mal Unterlagen ein und setzte eine neue Frist. Es passierte: nichts.
Im Oktober endlich ein Lebenszeichen. Der Sachbearbeiter verlangte zu allen Fonds erneut die Zeichnungsscheine und Prospekte und hatte ihnen neue Schadensnummern zugeordnet. Am Telefon reagierte er laut Mutschke barsch. Es habe alles seine Richtigkeit, da sein Haus die „Unterlagen ja nicht zweimal anfordere“.
Das Handelsblatt fragte zehn Anwälte, welcher Versicherer bei der Schadensdeckung die meisten Probleme macht. Acht nannten entweder auf Anhieb die Rechtsschutz Union oder zählten sie als eines der größten Sorgenkinder auf. Dabei ist der Versicherer mit 411 000 Kunden eher klein. Die DAS etwa hat 2,6 Millionen Rechtsschutzversicherte.
Von der Rechtsschutz Union würden unsinnige Fragenkataloge geschickt, sagt auch Anwalt Peter Mattil aus München. Wie etwa, zu welcher Uhrzeit eine Beratung stattgefunden habe. Seien dann alle Fragen beantwortet, käme der nächste Katalog von Fragen. Namen und derzeitige Adresse aller Beteiligten im Beratungsgespräch wolle die Versicherung etwa wissen. „Die Fragen sind standardisiert und schikanös“, findet Beschwerden bei der Bafin eingereicht, weil er glaubt, dass „die Rechtsschutz Union keine Sachbearbeitung im Sinne des Versicherungsvertragsgesetzes vornimmt“.
Es würden so hohe Anforderungen gestellt, dass sie kaum zu erfüllen seien, beschreibt Mathias Corzelius von der Kanzlei Goeddecke seine Erfahrungen: „Das scheint Programm zu haben.“ Susanne Schmidt-Morsbach von der Kanzlei Schirp berichtet: „Besonders brenzlig wird es, wenn die Verjährung droht.“ Sie habe schon häufig den Schlichter angerufen. Dagegen beteuert Versicherungs-Vorstand Waldmann: „Wir müssen die Aussicht auf Erfolg prüfen und sind auch der Versichertengemeinschaft verpflichtet. Wir reagieren nicht anders als andere Versicherungen.“
Neukunden der Versicherung haben von den Scherereien meist keine Ahnung. In Vergleichsportalen schneidet der Versicherer mit Bestnoten ab, auch bei der zur Handelsblattgruppe gehörenden „Wirtschaftswoche“. Aktuell gibt die Zeitschrift „Finanztest“ dem Rechtsschutz der Münchner die Note „gut“. Bewertet werden auf solchen Portalen die angebotenen Leistungen und die Höhe der Prämie. Wie die Versicherung Schadensfälle regelt, bleibe aber außen vor, erläutert ein Analysehaus.
Im Fall Schönborn erteilte die Rechtsschutz Union schließlich im November 2010, mehr als sieben Monate nach der ersten Anfrage, die Deckungszusagen für acht Fonds. Doch das war noch nicht alles. Bei drei Windparkfonds verweigerte die Rechtsschutz Union die Deckung. Schönborn musste sie vor dem Landgericht München erstreiten. Dem Handelsblatt liegen mehrere Aktenzeichen vor, wonach Kunden der Rechtsschutz Union vor dem Kadi um die Deckung kämpfen mussten. Vorstand Kai Waldmann hingegen beteuert: „Bei uns gibt es keinerlei Anweisungen, die Deckung von Schäden zu verzögern oder zu verhindern.“ Ihm sei es sehr wichtig, die Zahl der Beschwerden zu senken. Das sei 2014 sogar schon geschehen.
Bei Schönborns Windparkfonds sah das anders aus. Hier ließ Sich die Rechtsschutz Union selbst vom Richterspruch nicht beeindrucken. Sie fing bei einem der Fonds im April 2012 ganz von vorn an und verlangte alle Prospekte und Unterlagen zu dem Fonds. „Wir sind nun erneut in die Deckungsprüfung getreten“, schrieb der Versicherer an Schönborn.
Erst als die Bafin eingeschaltet war, schlug die Rechtsschutz Union andere Töne an. Zum Fall Schönborn schrieben die Münchner der Bafin: „Schon aufgrund der großen Menge an Korrespondenz, die von uns jeden Tag geführt wird, kann es natürlich vorkommen, dass unsererseits Unterlagen erneut angefordert werden, obwohl sie vorliegen.“ Dies sei „nicht erwünscht, aber auch nicht vermeidbar“.
Der Anwältin antwortete die Bafin ein Jahr nach der Beschwerde in vier kurzen Absätzen. Fehler bei der Art und Weise der Schadensbearbeitung habe die Rechtsschutz Union ja selbst eingeräumt. „Insofern war Ihre Beschwerde begründet“, schrieb die Aufsicht. Ob und welche Maßnahmen sie einleite, unterliege ihrer Verschwiegenheitspflicht.
Dem Handelsblatt sagte die Bafin, ihr stehe ein ganzer Maßnahmenkatalog zur Verfügung. In der Praxis führe häufig bereits „niederschwelligeres“ Einschreiten zum Erfolg. 30 Prozent aller Beschwerden bei der Bafin seien erfolgreich. Das heißt aber auch: 70 Prozent bleiben wirkungslos.
„Ich habe an die Bafin geschrieben, weil ich dachte, da bewirke ich etwas“, sagt Mutschke heute. „Aber es hat sich nichts geändert.“
Quelle: Handelsblatt Nr. 8 vom 15.01.2015
Autorin: Gertrud Hussla